Am 14.03. sind Landtagswahlen in Baden-Württemberg. Wir haben den Parteien im Vorfeld Wahlprüfsteine zu verschiedenen Themen zugeschickt und wollten von ihnen wissen, wie sie zu Themen wie Hörschädigung, Hörversorgung, gesellschaftliche und politische Teilhabe u.a. stehen. Die Antworten veröffentlichen wir hier in ungekürzter, unkommentierter Form.

Bündnis 90/Die Grünen Baden-Württemberg

CDU Baden-Württemberg

SPD-Landesverband Baden-Württemberg

FDP Baden-Württemberg Landesverband

DIE LINKE Baden-Württemberg

 

Diese Wahlprüfsteine wurden an die Parteien gesendet:

1. Kinder und Frühförderung

Kinder, die mit einer Hörschädigung zur Welt kommen, brauchen von Beginn an eine gute Versorgung mit Hörhilfen, wenn der Erwerb der Lautsprache das Ziel ist. Das können Hörgeräte oder aber auch Cochlea Implantate sein. Das frühzeitige Erkennen eines Hörverlustes ist extrem wichtig. Denn der Spracherwerb beginnt bereits vor der Geburt und folgt in bestimmten sensiblen Phasen einer definierten Entwicklung. Je früher die Diagnose und je professioneller die Hörversorgung, desto besser ist die Entwicklungsprognose für den Spracherwerb. Dennoch: der Spracherwerb ist bei hörgeschädigten Kindern immer verzögert und muss intensiv gefördert und begleitet werden. Die Hauptpersonen dabei sind die Eltern. Zahlreiche Termine bei Ärzt*innen und Therapeut*innen und der erhöhte Unterstützungsbedarf des Kindes im Alltag sind mit einer vollen Berufstätigkeit oft nicht gut vereinbar. Schlimmstenfalls kann der Spracherwerb des Kindes in Gefahr sein, wenn Eltern wichtige Termine nicht wahrnehmen können. Wenn Eltern aufgrund des zusätzlichen Betreuungsbedarfes ihres Kindes gar nicht oder weniger arbeiten können, entstehen ihnen dadurch Nachteile für ihre spätere Rentensituation.

Daher fordern wir:

  • Eine kontinuierliche Evaluation und Förderung der Hörtracking-Zentrale Baden-Württemberg
  • Die Ausarbeitung eines wissenschaftsbasierten, begleiteten Konzeptes zum Lautspracherwerb bei Kindern mit Hörschädigung auf Landesebene
  • Eine finanzielle Unterstützung von Eltern und Familien hörgeschädigter Kinder für die Jahre des Spracherwerbs ergänzend zum Kindergeld
  • Eine Regelung, nach der es für Eltern, die aufgrund der Hörschädigung ihres Kindes in den Jahren des Spracherwerbs nicht voll berufstätig sein konnten, keine Nach-teile für die Rentensituation geben darf
  • Eine sozialpädagogische und oder therapeutische Begleitung von Eltern und Familien mit hörgeschädigten Kindern

Unsere Fragen an Sie und Ihre Partei:

  1. Was werden Sie unternehmen, um die Hörtracking-Zentrale Baden-Württemberg weiter zu evaluieren und zu fördern?
  2. Werden Sie ein wissenschaftsbasiertes Konzept zur Sicherstellung des Spracherwerbs von hörgeschädigten Kindern auf Landesebene ausarbeiten?
  3. Werden Sie sich dafür einsetzen, dass Eltern und Familien hörgeschädigter Kinder finanzielle Unterstützung bekommen und ihnen keine Nachteile für ihre Rentensituation entstehen?
  4. Werden Sie sich dafür einsetzen, dass Eltern und Familien von und mit hörgeschädigten Kindern eine therapeutische Unterstützung erhalten?

 

2. Schule

Artikel 24 der UN-BRK garantiert in den Vertragsstaaten ein inklusives Bildungsangebot. Die Vertragsstaaten – auch Deutschland – stellen sicher, dass kein Kind aufgrund seiner Behinderung vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen werden darf und dass angemessene Vorkehrungen für die Bedürfnisse des Einzelnen getroffen werden müssen (Art 24, Absatz 2, Nr. 3). Für Kinder mit einer Hörschädigung ist das Angebot in Regelschulen derzeit noch nicht ausreichend ausgebaut. In der Regel sind Schulen gar nicht oder nur unzureichend auf die Bedürfnisse von hörgeschädigten Kindern vorbereitet.
Das Sprachverstehen von hörgeschädigten Kindern und Erwachsenen ist im Störgeräusch und in größeren Gruppen stark eingeschränkt. Daher sind hörgeschädigte Schülerinnen und Schüler (SuS), aber auch hörgeschädigte Lehrkräfte auf eine optimale Raumakustik nach DIN 18041 „Hörsamkeit in Räumen“ in den Schulräumlichkeiten angewiesen. Diese haben auch positive Wirkung für guthörende SuS und Lehrkräfte. Hilfreich für Hörgeschädigte sind in diesem Zusammenhang auch Audioübertragungsanlagen.

Daher fordern wir:

  • Nachrüstung der Räume, in denen die DIN 18041 „Hörsamkeit in Räumen“ noch nicht umgesetzt wurde, übergangsweise pro Schule jedoch mindestens 3 Klassen-räume, 2 Fachräume (z.B. Naturkunde) und das Lehrerzimmer
  • Eine standardisierte Ausstattung der Schulen mit Übertragungsanlagen
  • Eine umfangreiche Aufklärung und Schulung des Kollegiums über die Bedarfe hör-beeinträchtigte SuS und Lehrkräfte
  • Ausreichende Angebote für inklusives Unterrichten bereits im Lehramtsstudium und Referendariat als Pflichtfach
  • Verbindliche Inklusionsbeauftragte an allen Schulen auf Führungsebene
  • Bereitstellung eines einheitlichen „Katalogs“ möglicher Unterstützungsmaßnahmen für Unterricht und Prüfungen hörgeschädigter

Unsere Fragen an Sie und Ihre Partei:

  1. Wie stehen Sie zu der Forderung der Nachrüstung von Schulräumlichkeiten für mindestens fünf Räume plus Lehrerzimmer? Wann soll damit begonnen werden?
  2. Wie stehen Sie zu der Forderung einer standardmäßigen Ausstattung mit Übertragungsanlagen? Wann soll damit begonnen werden?
  3. Welche Maßnahmen werden Sie ergreifen um eine verbesserte Aufklärung und Schulung von Lehrkräften zu gewährleisten?
  4. Wie werden Sie sicherstellen, dass das Thema „inklusives Unterrichten“ im Lehramtsstudium und im Referendariat fest verankert wird und kein Wahlpflichtangebot bleibt?
  5. Welche Maßnahmen werden Sie ergreifen damit alle Schulen verbindliche Inklusionsbeauftragte auf Führungsebene ernennen?

 

3. Ausbildung und Studium

Auch nach der Schulzeit in Studium oder Ausbildung sind hörgeschädigte Menschen auf Unterstützungsmaßnahmen angewiesen. Dazu gehören auch hier beispielsweise Übertragungsanlagen und nach DIN 18401 ausgestattete hörsame Klassen- und Seminarräume. In den meisten Hochschulen, Universitäten und Berufsschulen sind diese nicht vorhanden.
Viele Studierende und Auszubildende mit einer Hörbeeinträchtigung müssen einen großen Mehraufwand leisten um die gleichen Leistungen zu erbringen, wie ihre Kommiliton*innen und Mit-Azubis. Noch weniger als an Schulen, gibt es an Universitäten und in Ausbildungsbetrieben konkreten Ansprechpartner, die helfen und beraten können. Die Studienberatungen sind häufig nicht auf Studierende mit einer Behinderung ausgelegt oder personell unterbesetzt. Viele Universitäten haben kein festes Budget für die Inklusion.
Viele Arbeitgeber scheuen sich noch immer, Auszubildende mit einer Behinderung einzustellen. Auch hörbeeinträchtigte Schulabgänger sind davon betroffen. Viele spielen sogar mit dem Gedanken, ihre Hörschädigung bei einem Bewerbungsverfahren gar nicht zu erwähnen. Eine ausreichende Sensibilisierung und Aufklärung der Arbeitgeber ist in diesem Bereich notwendig.

Daher fordern wir:

  • Einen festen Etat für Inklusion an den Hochschulen, aus dem unter anderem auf Führungsebene Beauftragte für die Belange von Studierenden und Lehrenden mit Behinderung finanziert werden
  • Den Ausbau der Studien-/Berufsberatung explizit für behinderte Schulabgänger
  • Gezielte und effektive Inklusionsunterstützung für Betriebe, die Auszubildende mit einer Behinderung einstellen
  • Die akustische Sanierung oder Nachrüstung nach der DIN 18041, um die Hörsamkeit von Hörsälen, Seminarräumen und Ausbildungsbetrieben sicherzustellen (sofern dies in den Bereich der Landespolitik fällt)
  • Eine standardisierte Ausstattung mit Übertragungsanlagen für Hochschulen und Berufsschulen

Unsere Fragen an Sie und Ihre Partei:

  1. Werden Sie sich für einen festen Etat für Inklusion an den Hochschulen einsetzen?
  2. Werden Sie sich für mehr Beratungspersonal für Studierende mit einer (Hör-) Behinderung an den Hochschulen einsetzen?
  3. Werden Sie Betriebe unterstützen und fördern, die Auszubildende mit einer (Hör-)Behinderung einstellen? Wenn ja – wie?
  4. Wie stehen Sie zur akustischen Sanierung und oder Nachrüstung von Hochschulen und Ausbildungsbetrieben?

 

4. Versorgung mit Hörsystemen

Eine Hörschädigung, ob angeboren oder im Laufe des Lebens erworben, hat gravierende Auswirkungen für die Betroffenen und das Umfeld, wenn er nicht rechtzeitig adäquat behandelt wird. Häufig kommt es zu sozialer Isolation, Depressionen, und auch der Zusammenhang von einer unzureichenden Hörversorgung mit der Entwicklung von Demenz wurde nachgewiesen. Aus den Folgen einer unversorgten oder unzureichenden Hörversorgung entstehen – jenseits aller individuellen Probleme – enorme volkswirtschaftliche Schäden. Eine frühzeitige angemessene Versorgung mit Hörsystemen trägt dazu bei, mittelfristig erhebliche volkswirtschaftliche Kosten zu sparen. Gleichzeitig kann so das individuelle Leid gemindert werden. Leider ist das Thema Hörverlust immer noch mit Scham besetz und wird mit älteren Menschen assoziiert. Ein Umdenken in der Gesellschaft ist hier nötig.

Daher fordern wir:

  • Aufnahme von Hörtests in das Angebot der Vorsorgeuntersuchungen ab dem 50. Lebensjahr
  • Präventionsmaßnahmen, Sensibilisierung der Bevölkerung für das Thema Hörverlust sowie einen Imagegewinn für die Themen Vorsorge (Lärmschutz!) und Hörversorgung (Hörgeräte und CIs tragen nicht nur Oma und Opa!)
  • Das Thema Hörverlust als Schwerpunktthema in der Gesundheitspolitik des Landes Baden-Württemberg aufzunehmen

Unsere Fragen an Sie und Ihre Partei:

  1. Werden Sie sich dafür einsetzen, dass Hörtests für Menschen ab 50 Jahren in die kostenfreie Gesundheitsvorsorge aufgenommen werden?
  2. Welche Maßnahmen werden Sie zur Prävention und Sensibilisierung der Bevölkerung bezüglich der Themen Hörverlust, Vorsorge und Hörversorgung ergreifen?
  3. Werden Sie das Thema Hörverlust als ein Schwerpunktthema in eine etwaige Landesregierung aufnehmen?

 

5. Senioren

Die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland steigt dank guter medizinischer Versorgung seit Jahren. Mit zunehmendem Alter steigt aber auch die Wahrscheinlichkeit für eine Altersschwerhörigkeit. Gleichzeitig sind ältere Menschen heute wesentlich länger fit und haben länger Interesse an einer aktiven Freizeitgestaltung als früher. Doch gerade schwerhörigen und tauben Menschen ist die Teilhabe an gesellschaftlichen Aktivitäten und gesellschaftlichem Engagement erschwert. Schlimmstenfalls wird die „Vermeide-Taktik“ gewählt – einfach sämtliche Situationen zu meiden, in denen schwierige Hör-Situationen auftreten könnten. Dies kann nicht nur gravierende psychosoziale Folgen, in Form von sozialer Isolation und Einsamkeit haben, sondern kann auch das Einsetzen von Demenz begünstigen. Verschiedene Studien konnten nachweisen, dass eine nicht versorgte Hörschädigung nachweislich das Demenzrisiko erhöht. Auch hier sei – neben den individuellen Schicksalen – auf die volkswirtschaftlichen Kosten verwiesen.

Daher fordern wir:

  • Die Schaffung eines „Kompetenznetzwerks Hören“ um lokale Akteure zusammenzubringen (vergleichbar mit dem „Runden Tisch Hörbehinderung“ in Bayern)
  • Sensibilisierung und Schulung von Ärzten und Personal in Senioren- und Pflegeeinrichtungen über die Relevanz einer guten Hörversorgung

Unsere Fragen an Sie und Ihre Partei:

  • Wie stehen Sie zu einem „Kompetenznetzwerk Hören“? Werden Sie sich dafür einsetzen, dass die Landesregierung ein solches Netzwerk aufbaut?
  • Werden Sie das Thema „Hörverlust im Alter“ aufgreifen und eine Informationskampagne für die Bevölkerung starten?
  • Werden Sie sich dafür einsetzen, dass medizinisches Personal dahingehend geschult wird, dass ein eventuell einsetzender Hörverlust erkannt und versorgt wird?

 

6. Gesellschaftliche und politische Teilhabe

Politische Veranstaltungen, Debatten und Sitzungen von Arbeitskreisen sind selten barrierefrei für hörgeschädigte Menschen. Schrift- oder Gebärdensprachdolmetscher*innen stehen in der Regel nicht zur Verfügung. Sitzungen finden in akustisch problematischen Räumen statt und auch eine Audioübertragungsanlage steht meist ebenfalls nicht zur Verfügung. So ist ein ehrenamtliches Engagement in der Politik (z. B. im Stadtrat) für Menschen mit einer Hörbehinderung nach wie vor schwierig. Studien zeigen, dass die Bedürfnisse von Menschen, die nicht in der Politik vertreten sind, viel weniger berücksichtigt werden und stattdessen eine Politik betrieben wird, die zu Gunsten derjenigen ausfällt, die ohnehin bereits in der Politik sind. Die erhöhten Kommunikationsbarrieren, die es Hörgeschädigten oft noch immer erschweren, politisch zu partizipieren führen also dazu, dass Hörgeschädigten der Zugang zur politischen Teilhabe und das Eintreten für die eigenen Bedürfnisse häufig unnötig erschwert werden.
Die barrierefreie Teilhabe betrifft viele Bereiche. Genannt seien an dieser Stelle beispielsweise Barrieren in Arztpraxen (Terminvereinbarungen sind meist nicht ohne Telefon möglich) oder kulturellen Einrichtungen.
Eine echte gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft kann für hörgeschädigte Menschen nur gelingen, wenn sie die notwendigen Kommunikationshilfen, d. h. Schriftdolmetscher, Gebärdensprachdolmetscher oder technische Kommunikationshilfen zur Verfügung haben und vor allen Dingen finanzieren können. Zwar formuliert das neue Bundesteilhabegesetz in § 78 Abs. 5 SGB IX die Finanzierung von Assistenzen, also auch Kommunikationsassistenzen, als Eingliederungshilfe im ehrenamtlichen Bereich, doch die Hürden der Antragsstellung sind noch immer sehr bürokratisch, und mit abschreckendem Charakter.

Daher fordern wir:

  • Die Einführung eines Teilhabegeldes für Menschen mit einer Hörbehinderung vergleichbar mit dem bestehenden Blindengeld
  • Schärfere Kontrollen und ggf. Nachrüstung der Hörsamkeit von öffentlichen Räumlichkeiten mit Publikumsverkehr nach DIN 18041
  • Mehr Untertitelung auch in kulturellen Einrichtungen
  • Die Bereitstellung von geeigneten Kommunikationshilfen bei öffentlichen und politischen Veranstaltungen

Unsere Fragen an Sie und Ihre Partei:

  1. Wie stehen Sie zu einem Teilhabegeld für Hörgeschädigte? Werden Sie sich dafür einsetzen?
  2. Werden Sie geeignete Kommunikationshilfen bei öffentlichen und politischen Veranstaltungen bereitstellen und sich hierfür einsetzen?
  3. Welche weiteren Maßnahmen planen Sie, um Menschen mit einer Hörbehinderung die Ausübung eines Ehrenamts und die Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben zu ermöglichen?
  4. Werden Sie sich dafür einsetzen, dass auch private Betreiber ihre Leistungen barrierefrei bereitstellen müssen? Was planen Sie hierfür konkret?